05.12.2022

Vorläufige Dienstenthebung der Bürgermeisterin von Niederstetten ist formell rechtswidrig

Die disziplinarrechtliche vorläufige Dienstenthebung der Bürgermeisterin von Niederstetten (Klägerin) ist formell rechtswidrig, da im Verfahren ein Amtsträger mitgewirkt hat, gegen den die begründete Besorgnis der Befangenheit besteht und darüber hinaus ein Anhörungsmangel vorliegt, der im weiteren Verfahren nicht geheilt wurde. Das hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit einem Urteil vom 27. Oktober 2022 entschieden.

Die von Herrn Rechtsanwalt Dr. Herrmann vertretene Bürgermeisterin ist in diesem Amt seit Mai 2018. Am 30. Juli 2020 leitete der Landrat des Main-Tauber-Kreises gegen die Klägerin ein Disziplinarverfahren ein. Vorgeworfen wird ihr unter anderem der Abschluss verschiedener Grundstückskaufverträge und Architektenverträge ohne entsprechenden Gemeinderatsbeschluss unter Verletzung der ihr nach der Hauptsatzung der Stadt Niederstetten eingeräumten Kompetenzen.

Eine nach längerer Erkrankung geplante Wiederaufnahme des Dienstes wurde der Klägerin durch Auswechseln der Türschlösser im Eingangsbereich zum Rathaus der Zutritt verwehrt. Das Landratsamt enthob einen Tag später die Klägerin des Dienstes, ohne den Ablauf einer ihr zuvor eingeräumten Äußerungsfrist abzuwarten. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Betriebsfrieden innerhalb der Kommunalverwaltung erheblich gestört sei.

Der hiergegen erhobenen Klage der Klägerin gab das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 15. September 2021 statt (DL 23 K 2371/21). Die Verfügung sei materiell rechtswidrig, es fehle an der erforderlichen besonderen Verhältnismäßigkeit zwischen der vorläufigen Dienstenthebung und der prognostisch zu erwartenden Disziplinarmaßnahme.

Der VGH hat das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis bestätigt. Zur Begründung seines Urteils führt der 6. Senat des VGH aus: Die angefochtene Verfügung sei formell rechtswidrig, weil die Mitwirkung des Leiters des Kommunal- und Rechnungsprüfungsamts des Landratsamts im Verfahren wegen begründeter Besorgnis der Befangenheit fehlerhaft sei.

Ein weiterer formeller Fehler liege darin, dass das Landratsamt von einer Anhörung der Klägerin vor Erlass der Verfügung abgesehen habe. Dieser Anhörungsmangel sei auch nicht nachträglich geheilt worden.

Schließlich sie der Beklagte seiner Amtspflicht nur unzureichend nachgekommen, die vorläufige Dienstenthebung fortlaufend unter Kontrolle zu halten, d.h. laufend zu überprüfen, ob sie noch recht-, zweck- und verhältnismäßig sei. Die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegenden Erkenntnisse und vorhandenen Ermittlungsergebnisse dürften keine tragfähige Grundlage für eine weitere Aufrechterhaltung der vorläufigen Dienstenthebung bieten (Az.: DL 16 S 752/22).